Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Innovation sind unsere Treiber


Interview vom 24. Januar 2021 aus der Beilage "Zukunft Bauen" der NZZ am Sonntag

Der 40-jährige Simon Kronenberg, seit letztem Oktober CEO von Holcim Schweiz und Italien, will alles daransetzen, sein Unternehmen noch stärker auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu trimmen. Im Gespräch erklärt er, welche Massnahmen es dazu braucht.


Sie haben Ihre neue Stelle erst kürzlich angetreten. In welcher Verfassung haben Sie das Unternehmen angetroffen?

Simon Kronenberg: Ich bin schon seit 2007 bei der LafargeHolcim-Gruppe und seit 2018 zurück in der Schweiz. In meiner neuen Position habe ich ein sehr gesundes Unternehmen vorgefunden. Die vor nicht allzu langer Zeit eingeführte neue Marktorganisation erlaubt uns, noch näher am Kunden zu sein. Zudem haben wir die Wachstumsstrategie «Building for Growth» lanciert, die sich als sehr erfolgreich erweist. Auf diesem Pfad werden wir weiterfahren und weiterwachsen, da bin ich zuversichtlich. Holcim hat sehr gute und viele langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie ein starkes und breit abgestütztes Führungsteam, das über eine tiefe Expertise in unserer Branche verfügt.

Sie waren früher international in verschiedenen kommerziellen Funktionen für den Konzern tätig. Was sind hinsichtlich der Baubranche die grössten Unterschiede?

Im Bereich Nachhaltigkeit und vor allem auch beim Recycling nehmen wir in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein. Die Schweiz ist ein kleines Land mit begrenzten Ressourcen und wenig Deponiemöglichkeiten, weshalb die Kreislaufwirtschaft, also das Wiederverwerten von aufbereiteten Rückbaumaterialien, einen grossen Stellenwert hat. Kreislaufwirtschaft ist für uns nicht nur ein Bekenntnis zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen. Es macht unsere Prozesse auch wirtschaftlicher. Wir investieren deshalb laufend in Massnahmen, mit denen wir Stoffkreisläufe schliessen.

Bei der Herstellung von Baumaterialien entsteht CO2, weshalb die Nachhaltigkeit eine der grössten Herausforderungen für Holcim ist. Wie steht Holcim heute da?

Bei Holcim investieren wir seit mehr als 30 Jahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette massiv in Nachhaltigkeit, sowohl in der Zement- wie bei der Betonproduktion. Wir haben seit 1990 über 30 Prozent CO2-Emissionen reduziert. Die Emissionen in der Zementproduktion entstehen vor allem durch zwei Vorgänge: Zu einem Drittel durch die Beheizung des Drehrohrofens, in dem der Zementklinker hergestellt wird, und zu zwei Dritteln durch den chemischen Prozess, den der Kalkstein beim Brennen durchläuft. Heute verwerten wir pro Jahr rund 150 000 Tonnen an alternativen Brennstoffen und 220 000 Tonnen an alternativen Rohmaterialien. Dadurch sparen wir alle fünf Jahre eine Deponie. Zudem optimieren wir laufend unsere Produkte und reduzieren den CO2-intensiven Klinkeranteil. Zur Substitution verwenden wir herkömmliche und alternative mineralische Komponenten. Dadurch bewegen wir uns auf dem vorgegebenen Absenkungspfad.

Was kann und wird Holcim in Zukunft konkret unternehmen, um den Umwelt- und Klimaschutz voranzutreiben und den CO2-Ausstoss weiter zu reduzieren?

Wir haben uns eine klare Roadmap gegeben in Bezug auf Dekarbonisierung. Das Werk in Siggenthal ist zum Beispiel eine «Plant of Tomorrow», wo neue Technologien bezüglich Digitalisierung, Automatisation oder «Digitale Zwillinge» getestet werden. Immer mit dem Ziel, ökologisch effizienter zu werden. Das Werk arbeitet unter anderem mit drei Firmen, die aus den Drohnen-Labors der ETHZ und EPFL entstanden sind. Wir unterstützen diese Firmen in der Produktentwicklung. Als Resultat der Zusammenarbeit haben wir vor einem Jahr eine neue Drohne eingeführt, die es ermöglicht, unsere Anlagen punktgenau bis in die hintersten, nicht einsehbaren Winkel von innen zu inspizieren. Ausserdem haben wir verschiedene Projekte in den Bereichen Carbon Capture, Storage und Use innerhalb der LafargeHolcim Gruppe am Laufen. Da erwarten wir technologische Fortschritte, die uns erlauben, Lösungen zur Abtrennung und Nutzung/Speicherung von CO2 zu entwickeln. Dadurch kann zum Beispiel das abgeschiedene CO2 als Rohstoff zu synthetischen Kraftstoffen, Kunststoffen oder anderen Chemikalien verarbeitet oder für die Rekarbonatisierung des Betons genutzt werden. Wir haben uns als Gruppe zum Ziel gesetzt, bis 2030 den CO2-Gehalt pro Tonne Zement um 21 Prozent auf 475 Kilogramm zu senken und dann einen weiteren Absenkpfad mit neuen Technologien zu verfolgen.

Wie wollen Sie diese Nachhaltigkeitsziele konkret erreichen?

Schon heute beziehen wir in der Produktion die Elektrizität zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien ein. Mit vier Solaranlagen decken wir zum Beispiel 5 Prozent unseres Bedarfs ab. Dann optimieren wir die Logistik. Rund 40 Prozent des Materials transportieren wir auf der Bahn und wollen diesen Anteil noch steigern. Ende Januar werden wir die ersten drei vollelektrischen Betonfahrmischer in Betrieb nehmen. Wir optimieren vom Steinbruch, über die Produktion, den Unterhalt, die Logistik bis hin zum Bauen.

Welche Rolle spielt dabei die Kreislaufwirtschaft?

Ich gebe gern ein Beispiel: Unser erster ressourcenschonender Zement Susteno besteht zu 20 Prozent aus hochwertig aufbereitetem Mischabbruchgranulat, das beim Gebäuderückbau anfällt und bis anhin oftmals deponiert oder nur in einfachen Betonanwendungen verwendet werden konnte. Durch die Verwendung dieses lokal vorhandenen Materials kann der Anteil an natürlichen Rohstoffen im Zement gesenkt werden. Gleichzeitig ermöglicht die entwickelte Verwertungslösung eine Verringerung des Klinkergehalts im Zement und damit eine CO2-Reduktion von 10 Prozent im Vergleich zu einem CO2-optimierten Schweizer Massenzement. Der neue Zement trägt zudem zum Schliessen des Baustoffkreislaufs bei und schont den ohnehin schon knappen Deponieraum in der Schweiz. Unser Beton ECOPact+ ist ein weiteres Beispiel: Diesen stellen wir mit unserem ressourcenschonenden Zement Susteno und rezyklierter Gesteinskörnung wie Betongranulat her, wobei ein hochwertiges, dauerhaftes Produkt entsteht – lokal verfügbar mit kurzen Transportwegen. Dafür investieren wir in Recycling-Plattformen, um an qualitativ hochwertiges mineralisches Rückbaumaterial zu kommen. Die Aufbereitung dieser Materialien ist aufwendig und bietet einen beträchtlichen Mehrwert in Bezug auf die Schliessung von Stoffkreisläufen, weshalb sie auch preislich etwas teurer sind. Wir stellen aber erfreut fest, dass einige Kundensegmente bereit sind, mehr für Nachhaltigkeit zu bezahlen. Bei öffentlichen Ausschreibungen hat dieses Thema sogar explizit eine grosse Gewichtung.

Für einen (weiteren) Wandel braucht es Innovationen und Leadership. Warum ist Holcim schon heute ein Innovation Leader und was wollen Sie selbst auf strategischer Ebene dafür tun, dass das so bleibt?

Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Innovation sind Teil unserer Unternehmenskultur. Dann haben wir eine Belegschaft, die nahe am Markt ist und ein tiefes Verständnis von unserer Industrie hat. So entstehen immer wieder Lösungen, die den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechen. Unsere dezentrale Organisation sorgt für viel Interaktion mit den Kunden, die uns immer wieder inspirieren. Diese Strategie bringt uns kontinuierlich weiter. Ich als CEO gebe dafür meinen Mitarbeitenden den nötigen Handlungsspielraum sowie viel Vertrauen und binde sie in den Entscheidungsprozess ein. Und ich stelle eine gewisse Risiko- und Innovationsbereitschaft sicher, um einen Schritt weiterzukommen. Wir geben uns nie mit den heutigen Gegebenheiten zufrieden, sondern planen immer weit voraus. Im Moment sind wir zum Beispiel daran, für digitale Technologien verschiedene Plattformen aufzubauen.

Bei welchen aktuellen Projekten machen sich die Bemühungen von Holcim bemerkbar?

Ein Referenzprojekt, auf das wir stolz sind, ist sicher das Learning-Center der HSG, wo unsere ECOPact ZERO-Lösung verwendet wird. Das Migros-Gebäude in Samedan ist ein anderes Beispiel, wo die Susteno-Lösung zum Einsatz kommt. Und im Kinderspital Lausanne produzieren wir mit einer mobilen Betonmischanlage projektspezifische Recyclingbetone. Zudem wächst unsere digitale Kundenplattform HolcimPartner rasant und wird zum Beispiel bei der Planung der Ostumfahrung Bad Zurzach oder im Helvetia Campus in Basel eingesetzt.

Es hat Tradition, dass Holcim für den Wissenstransfer und zur Förderung des klimaneutralen Bauens mit der ETH zusammenarbeitet. Welche Erfolge gab es in der Vergangenheit?

An den Betontagungen sind wir mit beiden ETH in Zürich und Lausanne im Austausch, woraus sich Innovationen ergeben. Wertvoll für uns ist auch, dass Philippe Block, Professor am Institut für Technologie in Architektur der ETHZ, seit letztem Jahr dem Verwaltungsrat der LafargeHolcim-Gruppe angehört. Er ist eine Koryphäe für nachhaltiges Bauen. Und über unsere «Foundation for sustainable construction» pflegen wir gute Kontakte zur Forschung und Architekturbranche.

Was ist mit Start-ups?

Wir sind davon überzeugt, dass in der Schweiz im Umfeld der Universitäten viele Innovationen möglich sind. Holcim ist Partner des Kickstart-Programms, was dazu geführt hat, dass 2020 mehr als 100 Dossiers mit vielen guten Ideen von internationalen Start-ups auf meinem Tisch landeten. Was uns davon interessiert, treiben wir entlang unserer strategischen Prioritäten voran. Ein konkretes Projekt ergab sich etwa im Bereich 3D-Printing unter Verwendung von Recyclingmaterial. Bei einem anderen Projekt geht es um die Dekarbonisierung von Rückbaumaterial. Open Innovation ist ganz in unserem Sinne.

Interview: Michael Baumann
Media Relations

Unser Media Relations Team steht Medienschaffenden gerne für Fragen zur Verfügung.

Telefon: 058 850 68 48
E-Mail: communications-ch@holcim.com

Simon Kronenberg über Innovation Leader

Welchen Innovation Leader würden Sie gerne einmal treffen (es kann auch postum sein)?

Das ist der Schweizer Bertrand Piccard, ein innovativer, mutiger Unternehmer und Visionär. Was er mit seiner Weltumrundung mit einem Ballon und mit dem Flugzeug Solar-Impulse geleistet hat, ist bemerkenswert und beeindruckend. Er denkt in die gleiche Richtung wie wir bei Holcim, indem er sich für den Planeten und für die Menschheit einsetzt. Piccard agiert ausserhalb der Komfortzone, um die erneuerbaren Energien und die Gesellschaft weiterzubringen.

Was zeichnet für Sie einen Innovation Leader aus, beziehungsweise was macht Innovation zur Chefsache?

Es braucht einen breiten Horizont und die Bereitschaft, die Kultur in einem Unternehmen aktiv zu gestalten sowie berechnete Risiken einzugehen und Innovationen zu tätigen. Dann ist Handlungsbereitschaft wichtig. Ein Innovation Leader muss offen sein und unterschiedliche Meinungen nicht nur zulassen, sondern auch ernst nehmen. Er soll sich die Zeit und den Raum nehmen können, fünf oder zehn Jahre vorauszuplanen. Und er muss sich in der heutigen Zeit sehr stark für die Digitalisierung interessieren und sie fördern.

Simon Kronenberg, CEO von Holcim Central Europe West

Die digitale Transformation der Holcim Schweiz

Erfahren Sie im Video, für welchen Weg sich Holcim bei der Digitalisierung entschieden hat.

Simon Kronenberg, CEO von Holcim Central Europe West: «Das Werk in Siggenthal
ist zum Beispiel eine ‹Plant of Tomorrow›. Immer mit dem Ziel, ökologisch effizienter
zu werden.»

Das HSG Learning-Center in St. Gallen, bei dem die ECOPact ZERO-Lösung von Holcim verwendet wurde.